Scham und Schuld im beruflichen Kontext
Kennen Sie Brene Brown, eine US-amerikanische Autorin psychologischer Schriften zur Lebensführung? Ich kannte sie bis vor wenigen Monaten auch nicht. Das heißt, irgendwie schon, doch hatte ich bis vor kurzem einen großen Bogen um sie und ihre Bücher gemacht. Unvereinbar mit meinem Leben schienen mir ihre Ansätze, nachzulesen z. B. in ihrem Buch „Verletzlichkeit macht stark“. Insbesondere ihr Vorschlag, mich im beruflichen Kontext verletzlich zu zeigen, fand ich befremdlich. Oder können Sie sich vorstellen, einem Rudel hungriger Hunde Ihre Kehle darzubieten, so dass diese nur noch zubeißen müssen? Das ist zumindest das Bild, das immer wieder in mir aufstieg, wenn ich den deutschen Titel von Brené Browns Buch las. Doch offenbar spielt uns das Leben immer das zu, was wir gerade brauchen. Das habe ich endlich eingesehen, als ich ein weiteres Buch von Brené Brown in mein Leben kommen sah. Ich gab nach und las „Laufen lernt man nur durch Hinfallen.“
Durch ihre schonungslose Ehrlichkeit und mittels zahlreicher Beispiele aus ihrem Leben hat mich Brené Brown mit auf eine Reise zu bestimmten schwierigen Bereichen auch in meinem Leben geführt. Scham und Schuld hatte ich zwar bereits ausgiebig in den vergangenen Jahren erforscht und ergründet, etwa mit Büchern von John Bradshaw oder Anja Meulenbelt, allerdings tatsächlich eher im privaten Kontext.
Doch Brown scheut sich nicht, auch Beispiele aus dem beruflichen Umfeld zu nennen. Das ist extrem mutig und dieser Mut führt zu mehr Authentizität, davon bin ich überzeugt. Ich habe mich beim Lesen verführen lassen, mich einigen Situationen aus meinem beruflichen Alltag zuzuwenden und in die Abgründe unterschiedlicher Schuldmomente zu blicken. Und ich kam beim Lesen nicht umhin, mich auch von meinen Schamerlebnissen berühren, ja streicheln zu lassen. In ihrem Buch „Laufen lernt man nur durch Hinfallen“ beschreibt Brown sehr anschaulich und verständlich den Unterschied zwischen sich schuldig zu fühlen und sich zu schämen. Nehmen wir ein Beispiel, wie es wahrscheinlich im beruflichen Kontext tagtäglich vorkommt, nämlich die Entscheidung als Chef oder Chefin, ein umfangreiches und langwieriges Projekt anzunehmen, das bei genauerem Hinsehen mehr als kritisch zu bewerten ist. Eventuell weiß man bereits im Vorfeld, dass das Projekt Mehrarbeit und einen erhöhten Einsatz vom Team erwarten lässt. Wenn es dann losgeht und die Wochen mit verstärktem Einsatz ins Land gehen, schwächeln Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erfahrungsgemäß auch schon mal, weil sie mit ihren Bewältigungsstrategien an ihre Grenzen kommen. Am Tag der Präsentation vor dem Kunden geht dann, aus welchen Gründen auch immer, alles schief, sei es, dass der Kunde in dem Meeting unaufmerksam bzw. nicht wirklich bei der Sache ist, oder weil das Team selbst nicht überzeugt. Das führt natürlich zu einem großen Frustrationsgefühl. Wenn ich als Chefin in so einer Präsentation nicht eingreife, es geschehen und das Team allein da stehen lasse, dann kann ich anschließend zwar die Schuld beim Team bzw. beim Kunden suchen. Doch bleibt es an der Führungskraft, sich zu fragen: Wo habe ich falsch gelegen, wann hätte ich einschreiten müssen und warum habe ich es nicht getan? Fehler zu machen gehört einfach dazu, doch wichtig ist, welche Haltung ich dazu einnehme:
- Ich habe etwas falsch gemacht = Schuld, ermöglicht eine Korrektur des Verhaltens.
- Ich bin falsch = Scham, führt dazu, sich grundsätzlich in Frage zu stellen.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen der Aussage „Ich habe es vermurkst“ (Schuldgefühl) und „Ich bin eine Niete“ (Scham). Bei Ersterer akzeptieren wir unsere Unvollkommenheit als Mensch. Bei Letzterer klagen wir uns im Grunde für unsere Existenz an. Mit Schuld lässt sich deshalb besser umgehen als mit Scham, weil man bei Schuldgefühlen lediglich eine einzelne Handlung negativ bewertet, während man sich bei Scham dagegen gleich als ganze Person in Frage stellt. Und ein Verhalten lässt sich durch Reflexion, z.B. durch Coaching, Therapie oder Mentaltraining gewöhnlich ganz gut korrigieren.
Scham ist evolutionär eines der ältesten Gefühle der Menschheit, da es der Funktion nach den Ausschluss aus der sozialen Gemeinschaft verhindern soll. Sie ist kulturell geprägt und hat einst das Überleben gesichert, ist in vielen Kontexten allerdings ziemlich kontraproduktiv. Glücklicherweise kann Scham sich dort nicht halten, wo wir darüber reden. Können wir uns gegen die Scham wehren? Ja, natürlich und wir können die eigene Scham, da, wo sie entsteht, erkennen und sie in unsere Persönlichkeit integrieren. Ein möglicher Ansatzpunkt kann hier sein, zwischen dem eigenen Verhalten und der eigenen Person zu trennen, denn Fehler sind menschlich und vor allem in den meisten Fällen korrigierbar!
Kennen Sie den Unterschied? Scham oder Schuld in Ihrem (beruflichen-)Alltag?
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